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Viel angekündigt – jetzt muss es auch wirken
von Präsident Franz Groschan
Das neue Regierungsprogramm 2025 enthält einige gute Nachrichten für Menschen mit Behinderungen. Es ist vieles dabei, was wir als KOBV lange gefordert haben.
Positiv hervorzuheben ist etwa die geplante bundeseinheitliche persönliche Assistenz. Das ist ein großer Schritt für mehr Selbstbestimmung im Alltag – aber nur, wenn sie auch ausreichend finanziert und für alle zugänglich ist. Auch der geplante One-Stop-Shop für Heilbehelfe und Beihilfen ist eine Erleichterung, auf die viele von uns schon lange warten. Beim Pflegegeld fordern wir ein klares Bekenntnis zum Geldleistungsprinzip, das bei Bedarf durch Sachleistungen der Bundesländer ergänzt wird – nicht umgekehrt. In der Bildung gibt es einige begrüßenswerte Punkte. Darunter die Stärkung der inklusiven Bildung und der bereits angestoßene Rechtsanspruch auf ein 11. und 12. Schuljahr.
Sehr erfreulich ist die Erweiterung des Tabakmonopols auf alternative Nikotinprodukte. Hier haben wir uns gemeinsam mit anderen stark gemacht – ein Gewinn für die wirtschaftliche Absicherung vieler Menschen mit Behinderungen.
In der Arbeitsmarktpolitik gibt es gute Ansätze. Aber hier braucht es größeres Engagement: Unternehmen müssen echte Anreize bekommen, mehr Menschen mit Behinderungen einzustellen, und die Rahmenbedingungen für den ersten Arbeitsmarkt müssen klar und flächendeckend geregelt werden. Auch fehlen im Ausgleichstaxfonds (ATF) bereits jetzt 100 Mio. Euro – ein Grund, weshalb der KOBV eine Umstrukturierung des Systems fordert. Im Regierungsprogramm findet sich zumindest das Vorhaben, den ATF in seiner jetzigen Form zu evaluieren. Rasches Handeln ist notwendig, um den Ausgleichstaxfonds finanziell ausreichend abzusichern, damit genügend Mittel für die berufliche Inklusion von Menschen mit Behinderungen zur Verfügung stehen.
Gerade angesichts der ernsten Budgetsituation und der wirtschaftlichen Rezession ist es umso wichtiger, die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu stärken. Die Verpflichtungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention bestehen unabhängig von Budgetlagen, und ihre Umsetzung ist ein Maßstab für die Gerechtigkeit und den sozialen Zusammenhalt in unserem Land. Wir dürfen nicht vergessen: Der soziale Frieden war schon einmal der Grundstein für den Wiederaufbau der Republik nach schwierigen Zeiten. Auch heute brauchen wir ein starkes Miteinander – für alle Menschen in diesem Land.
Abschließend gibt es noch Schönes zu berichten. Heuer feiert der KOBV Österreich sein 80-jähriges Bestehen. Seit 1945 stehen wir als Verband an der Seite von Menschen mit Behinderungen, mit einer Geschichte, die von Engagement, Solidarität und Beharrlichkeit geprägt ist. Vom Aufbau des Rehabilitationswesens, über den Einsatz für das Pflegegeld, bis zur Mitgestaltung der Behindertenpolitik in Bund und Ländern: Der KOBV Österreich hat viel erreicht – und viel bewegt. Diese Stärke verdanken wir dem Zusammenhalt in unserem Verband: den vielen ehrenamtlich engagierten Funktionärinnen und Funktionären, den hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und vor allem unseren Mitgliedern. Gemeinsam sind wir stärker – damals wie heute.
Ihr Franz Groschan
Ein Regierungsprogramm mit vielen Vorhaben
Teils ambitionierte Maßnahmen, teils vage ‚Vielleichts‘ – So verständigt sich die neue Regierung auf Inklusion
Das Regierungsprogramm 2025-2029 enthält einige Punkte, die sich mit langjährigen Forderungen des KOBV Österreich decken. Die geplanten Vorhaben betreffen unter anderem Persönliche Assistenz, Inklusion im Bildungsbereich, Gewaltschutz, Beschäftigung sowie Barrierefreiheit. Vieles davon ist aber nur vage formuliert. Allerdings zwingt nicht zuletzt die bereits vor 17 Jahren durch den Nationalrat ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) die Regierungsparteien dazu, Inklusion vorbehaltlos anzugehen.
Der Ausgleichstaxfonds gibt Grund zur Besorgnis
Was der KOBV bereits lange abgesehen hat, droht Wahrheit zu werden. Jüngste Meldungen belegen, dass im Ausgleichstaxfonds (ATF) bereits jetzt 100 Millionen Euro fehlen. Daher fordert der KOBV ein klares Bekenntnis der Bundesregierung zur raschen finanziellen Absicherung des Ausgleichstaxfonds ein. Die berechtigte Forderung des KOBV nach einer Umstrukturierung des Systems ist dringend. Die Ankündigung im Regierungsprogramm, das Behinderteneinstellungsgesetz zu überarbeiten und die Ausgleichstaxe zu evaluieren, weist in die richtige Richtung. Entscheidend ist jedoch, dass so schnell wie möglich gehandelt wird. Derzeit zeigen sich strukturelle Schwächen: Budgets werden häufig in befristete Programme gelenkt, statt in dauerhafte Lösungen. Der KOBV fordert, die Verwendung der Mittel stärker auf nachhaltige Beschäftigung und Qualifizierung auszurichten.
Die Mittel sollen vorrangig dazu dienen, Menschen mit Behinderungen echte und dauerhafte Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu geben. Dazu gehören unter anderem Förderungen für inklusive Arbeit, Fortbildungen und barrierefreie Infrastruktur am Arbeitsplatz. Auch ein Rechtsanspruch auf Unterstützung für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf muss geschaffen werden.
Was die Sicherung der Mittel im ATF betrifft, so muss das System grundlegend überarbeitet werden, zumal sich in der aktuellen Form ein Widerspruch in sich findet: Unternehmen, die die Einstellungspflicht nicht erfüllen wollen oder trotz ehrlichen Bemühens nicht können, zahlen in den ATF ein, was entweder als Freikaufen oder als Strafzahlung empfunden wird. Würden alle einstellungspflichtigen Unternehmen – in Österreich ohnehin nur 2,9 % aller Betriebe – ihre Einstellungspflicht erfüllen, würden keine Mittel mehr in den ATF fließen und so auch keine Projekte zur Arbeitsplatzsicherung für Menschen mit Behinderungen mehr möglich sein. Daher sieht der KOBV als einzige Möglichkeit, die Finanzierung auf eine breitere Basis zu stellen, wie es zum Beispiel durch Einführung eines Behindertenbeschäftigungsbeitrages als Arbeitgeber:innenabgabe gelingen könnte. Dieser müsste von allen Unternehmen in den ATF einbezahlt werden, einstellungspflichtig oder nicht. Die höheren Mittel im Fonds könnten zu einem Mehr an finanziellen Anreizen (Förderungen, Prämien, u.a.) für inklusive Maßnahmen von Arbeitgeber:innen genützt werden.
Pflegegeld und Unterstützungsleistungen
Die Absicherung durch Pflegegeld ist für viele Menschen mit Behinderungen essenziell. Nicht umsonst setzte sich der KOBV Österreich in den 1980er Jahren federführend für ein bundesweites Pflegegeldgesetz ein, das alle Menschen mit Behinderungen, egal welcher Art und Ursache, umfasst. Im aktuellen Regierungsprogramm fehlen klare Maßnahmen zur Stärkung dieser Leistung. Der KOBV tritt dafür ein, dass Pflegegeld als Geldleistung erhalten bleibt. Es ermöglicht individuelle Entscheidungen über notwendige Unterstützung. Ergänzende Angebote der Länder wie Sachleistungen oder Pflegeeinrichtungen spielen eine wichtige Rolle, dürfen jedoch nicht als vorrangig behandelt werden.
Pflege muss leistbar, wohnortnah und bedarfsgerecht sein. Die derzeitigen Engpässe im Bereich mobiler Pflege und Assistenz zeigen, wie dringend Verbesserungen notwendig sind. Der KOBV fordert eine langfristige Absicherung des Pflege- und des Pflegegeldsystems, die auch auf die demografische Entwicklung reagiert. Ziel muss ein inklusives Pflegesystem sein, das Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht.
Gewalt an Menschen mit Behinderungen
Ein besonders sensibler Bereich betrifft Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen. Im vorliegenden Regierungsprogramm findet sich dazu: „Gewaltschutz für Menschen mit Behinderungen rasch verbessern“. Insbesondere das Wort „rasch“ ist sehr zu begrüßen. Auch das Vorhaben die Deinstitutionalisierung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention voranzutreiben, ist in diesem Zusammenhang erfreulich. Denn Frauen mit Behinderungen sind einem stark erhöhten Risiko ausgesetzt, wobei die Anzahl der Übergriffe in Heimen alarmierend ist. Die Prävention von Gewalt und der Schutz betroffener Personen sind grundlegende staatliche Aufgaben. Daher fordert der KOBV die Finanzierung von barrierefreien Gewaltschutzeinrichtungen, ausreichender Information sowie spezialisierter Beratung. Weiterhin spricht sich der KOBV für den Ausbau entsprechender Angebote sowie für Schulungen bei Polizei, Justiz und Sozialdiensten aus.
Was speziell Frauen mit Behinderungen betrifft, so spricht sich der KOBV für den Auf- und Ausbau von barrierefreien Frauenberatungsstellen, Notunterkünften und spezifischen Schutzangeboten für Betroffene mit Behinderungen aus. Notwendig sind zudem leicht zugängliche barrierefreie Informationskampagnen.
Bildung – Inklusive Strukturen schaffen
Im Bildungsbereich wurde ein Ausbau der inklusiven Angebote angekündigt, etwa durch einen erweiterten Schulzugang bis zur zwölften Schulstufe. Der Erfolg dieser Maßnahmen hängt davon ab, ob entsprechende personelle, räumliche und pädagogische Voraussetzungen geschaffen werden.
Es braucht ausreichend Lehrpersonal mit Inklusionserfahrung, Assistenzkräfte und barrierefreie Schulgebäude sowie Unterrichtsmaterialien. Auch die Hochschulen müssen sich öffnen – durch barrierefreie Studienbedingungen, Unterstützungs-angebote und die Anerkennung unterschiedlicher Leistungsformen. Zudem muss die finanzielle und sozialversicherungsrechtliche Absicherung von Studierenden mit Behinderungen gewährleistet sein.
Kritisch zu betrachten ist allerdings das Festhalten an Sonderschulen. Das Regierungsprogramm sieht vor, diese Schulform zu erhalten und sie für allgemeine Schüler:innen zu öffnen, um gemeinsames Lernen zu ermöglichen. Damit scheint aber der Sonderschule ein Hintertürchen geöffnet zu sein, was abzulehnen ist. Bildung ist ein Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe – dieser muss für alle offen stehen.
Tabaktrafiken gestärkt
Tabaktrafiken sind für viele Menschen mit Behinderungen eine wesentliche Chance auf wirtschaftliche Absicherung und damit auf selbstbestimmtes Leben. Durch den an sich begrüßenswerten Rückgang des Zigarettenkonsums in Österreich geraten die Tabaktrafiken und damit Unternehmer:innen mit Behinderungen immer mehr unter wirtschaftlichen Druck. Auf der anderen Seite nimmt der Genuss alternativer Nikotinprodukte zu. Diese unterliegen jedoch keinem Jugendschutzgesetz und sind im Handel frei verfügbar, obwohl sie Suchtmittel sind wie herkömmliche Zigaretten auch. Um also den Jugendschutz zu gewährleisten und den Trafikantinnen und Trafikanten diesen Marktanteil zurückzuholen, setzt sich die Monopolverwaltung GesmbH (MVG) vehement dafür ein, Nikotinpouches & Co. in das Tabakmonopol zu bekommen, was der KOBV Österreich nach Kräften unterstützt.
Dazu Mag. Hannes Hofer, MVG-Geschäftsführer: „Ich freue mich, dass die neue Regierung die zentrale Rolle des Tabakmonopols als größte inklusive Unternehmer*innen-Plattform und als DEN richtigen und verantwortungsvollen Vertriebsweg für sensible Genussprodukte anerkennt. Mit der Erweiterung des Monopols um New Generation Products und der Einführung einer risikobasierten Besteuerung wird ein entscheidender Schritt in Richtung einer gesicherten Zukunft für die Trafikantinnen und Trafikanten gesetzt.
Ich möchte mich auch beim KOBV für die Unterstützung bei der Überzeugungsarbeit bedanken – nur gemeinsam gelingt es, das Unternehmen Inklusion nachhaltig zu sichern.“
Warnung vor Budgetvorbehalten bei sozialer Gerechtigkeit
Die rasche Umsetzung der Vorhaben ist zwingend erforderlich. Gerade angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage und des desaströsen Staatsbudgets ist es umso wichtiger, nicht bei jenen zu sparen, die ohnehin benachteiligt sind. Die Tatsache, dass die Arbeitslosigkeit unter Menschen mit Behinderungen doppelt so hoch wie in der restlichen Bevölkerung ist, spricht für sich. Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist keine Frage des Wohlwollens, sondern völkerrechtliche Pflicht. Wer heute in Inklusion investiert, legt das Fundament für eine gerechtere, resilientere Gesellschaft.
Der KOBV steht als starke Interessenvertretung bereit, diesen Weg kritisch, konstruktiv und entschlossen mitzugestalten.





UN: EU muss Gesetzeslage auf Einhaltung der UN-BRK prüfen
Die EU ratifizierte die UN-Behindertenrechtskonvention am 23. Dezember 2010 als supranationale Organisation. Am 11. und 12. März 2025 fand im Palais des Nations in Genf die Überprüfung der Europäischen Union (EU) durch den UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen statt. Nur einen Monat später, am 3. April, liegt der Bericht vor.
Die rechtliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen ist ein zentrales Anliegen der EU-Grundrechtepolitik – doch die Umsetzung bleibt vielfach fragmentarisch. Der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat im April 2025 seine abschließenden Bemerkungen zur Staatenprüfung der Europäischen Union vorgelegt. Das Ergebnis ist aus Sicht der Behindertenvertretung ernüchternd: Der Ausschuss fordert eine umfassende Überprüfung bestehender Rechtsvorschriften, um ihre Vereinbarkeit mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) sicherzustellen.
Besondere Relevanz hat die seit 2008 verhandelte, aber nie verabschiedete Antidiskriminierungsrichtlinie. Sie würde den Schutz vor Diskriminierung außerhalb des Arbeitslebens endlich auch unionsweit rechtlich verankern. Für den KOBV Österreich ist der Bericht nicht nur Mahnung, sondern Handlungsauftrag: Inklusion und Gleichbehandlung dürfen keine politischen Absichtserklärungen bleiben – sie müssen Eingang in verbindliche Rechtsnormen und Verwaltungspraktiken finden.
Der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen gelangt schließlich zu dem deutlichen Befund, dass die EU ihre Gesetzgebung umfassend prüfen muss, damit sie den Anforderungen der Konvention gerecht wird.
Die Expert:innen fordern einen gezielten Rechtsabgleich. Besonders wichtig ist dabei die Rolle der sogenannten Equal Treatment Directive. Diese Richtlinie soll Diskriminierung in Bereichen wie Bildung, Gesundheit, sozialer Schutz und Zugang zu Gütern und Dienstleistungen verhindern. Seit ihrer Vorlage im Jahr 2008 liegt sie im Rat der EU auf Eis. Die Entscheidung, den Gesetzgebungsprozess zur Antidiskriminierungsrichtlinie nicht weiterzuverfolgen, traf die Europäische Kommission ohne Vorankündigung und ohne Rücksprache mit anderen EU-Institutionen oder der Zivilgesellschaft. Sie wurde lediglich als Anhang zum Arbeitsprogramm 2025 veröffentlicht. Als Begründung führte die Kommission an, dass der Vorschlag seit 17 Jahren – insbesondere durch nationale Regierungen wie jene Deutschlands – blockiert werde. Dies geschieht, obwohl in mehreren Ratspräsidentschaften zuletzt intensive Anstrengungen unternommen wurden, die Richtlinie doch noch zu verabschieden. (siehe edf-feph.org)
Die sogenannte Equal Treatment Directive soll bestehende Lücken im europäischen Diskriminierungsschutz schließen. Sie wurde auf langjährige Initiative der Zivilgesellschaft eingebracht und richtet sich an alle Menschen, die aufgrund gesetzlich geschützter Merkmale benachteiligt werden. Ihr Ziel ist es, den unionsrechtlichen Vorgaben sowie den internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen der EU Rechnung zu tragen und einen umfassenden Schutz über den Bereich Beschäftigung hinaus sicherzustellen.
Der Ausschuss fordert nun klar, dass die EU alle Möglichkeiten ausschöpft, um diesen Gesetzesvorschlag wieder auf die politische Agenda zu setzen. Die Umsetzung der Richtlinie würde Menschen mit Behinderungen einen einheitlichen rechtlichen Schutz in ganz Europa bieten – über den Arbeitsmarkt hinaus.
Zudem empfiehlt der Ausschuss, den Behindertenausweis in seiner inhaltlichen Geltung auszuweiten. Sie soll Reisefreiheit und gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Angeboten ermöglichen. Auch bei der Mittelvergabe mahnt der Bericht ein: EU-Förderungen sollen ausschließlich inklusiven Strukturen zugutekommen – nicht Einrichtungen, die Menschen mit Behinderungen isolieren.
Der Bericht ruft dazu auf, Organisationen von Menschen mit Behinderungen stärker einzubinden. Ihre Beteiligung sei unverzichtbar für die Entwicklung wirksamer und gerechter Politik.
Der KOBV Österreich unterstützt diese Forderungen und ruft die EU und ihre Institutionen dazu auf, Konventionen nicht nur zu unterschreiben, sondern der Verpflichtung zur Umsetzung auch nachzukommen. „In unserem gemeinsamen Europa ist es unerlässlich, für gemeinsame Standards zu sorgen. Die EU beruht auf den Werten der Gleichheit, Freiheit und Solidarität. Es wird Zeit, dies auch für Menschen mit Behinderungen rechtssicher zu verwirklichen“, sagt Franz Groschan, Präsident des KOBV Österreich.
Drei Stimmen, drei Wege? Wie Österreichs EU-Abgeordnete
Inklusion verstehen
Die Disability Intergroup des Europäischen Parlaments ist eine Gruppe von Abgeordneten, die sich fraktionsübergreifend für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzen. Drei österreichische Mitglieder des Europäischen Parlaments oder einfach EU-Abgeordnete (kurz: MdEPs) – Lukas Mandl (ÖVP), Evelyn Regner (SPÖ) und Harald Vilimsky (FPÖ) – sind dieser freiwilligen Gruppe beigetreten. Was sie antreibt, welche Positionen sie vertreten und wo sie sich unterscheiden, zeigt ein Blick in ihre aktuellen Stellungnahmen.
Persönliche Motivation: Warum engagieren sich die drei Abgeordneten?
Für Evelyn Regner war es eine persönliche Entscheidung, sich der Disability Intergroup anzuschließen: „Ich bin der tiefen Überzeugung, dass jeder Mensch die gleichen Chancen im Leben verdient – unabhängig davon, ob er oder sie mit einer Behinderung lebt.“ Ihre politische Sozialisation in der Gewerkschaft und die Zusammenarbeit mit dem Gewerkschafter und ehemaligen ÖBR-Präsidenten Herbert Pichler haben ihr Bewusstsein für strukturelle Hürden geschärft.
Lukas Mandl betont, dass er in der Vielfalt an politischen Themen bewusst Prioritäten für nachhaltige Themen setzen möchte. Die Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderungen sei für ihn „nachhaltig sinnvoll“. Die Intergroup verstehe er als Forum, in dem die Zivilgesellschaft und Menschen mit Behinderungen gehört werden und Anliegen in den parlamentarischen Prozess einfließen. „Betroffene zu Beteiligten machen“ ist sein zentrales Anliegen. Dabei gehe es nicht nur um Lippenbekenntnisse, sondern um konkrete politische Umsetzung mit klarer Priorität – gerade in Krisenzeiten.
Harald Vilimsky betont: „Es war selbstverständlich eine persönliche Entscheidung, der Disability Intergroup beizutreten.“ Dabei sei ihm wichtig, die Entscheidungshoheit über Sozialpolitik in Österreich zu bewahren. Er verweist auf die langjährigen Bemühungen der FPÖ, sich für Menschen mit Behinderungen einzusetzen, sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene.
Barrierefreiheit und Assistenz: politische Differenzen
Regner fordert verbindliche EU-Standards, insbesondere im öffentlichen Verkehr. Barrierefreiheit sei für sie „kein Nice-to-have, sondern Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben“. Sie kritisiert deutlich, dass Menschen mit Behinderungen vielfach in isolierten Systemen wie Institutionen leben müssen.
Mandl spricht von Inklusion als „Überbegriff für alle programmatischen Punkte unserer Zeit“ – von Bildung bis Infrastruktur, von künstlicher Intelligenz bis zur Arbeitswelt. Wichtig sei, dass Veränderungen nicht zulasten, sondern zugunsten behinderter Menschen ablaufen. Barrierefreiheit müsse in allen Lebensbereichen umgesetzt werden – auch im „Kopf und im System“. Assistenz dürfe nicht als Luxus betrachtet werden. Sie sei Voraussetzung für Teilhabe.
Vilimsky hingegen warnt vor einer zu starken Rolle der EU, da nationale Kompetenzen beschnitten werden könnten. Zudem warnt er: "Vereinheitlichte Standards könnten dazu führen, dass die Standards insgesamt schlechter werden." Denn einen gemeinsamen europäischen Standard festzulegen kann oft bedeuten, dass Staaten mit besseren Standards hinunterverhandelt werden. Er plädiert für nationale Verantwortung und betont das Subsidiaritätsprinzip.
Bildung, Arbeit, Teilhabe: konkrete Forderungen
Regner setzt sich für ein Ende der Werkstättenstruktur ein, die sie als "nicht mehr zeitgemäß" bezeichnet. Stattdessen brauche es inklusive Arbeitsmodelle, echte Bezahlung und Qualifizierung.
Mandl fordert eine bewusste politische Priorisierung von Inklusion und Selbstbestimmung. Er will Betroffene als „Expert:innen in eigener Sache“ systematisch in Entscheidungsprozesse einbinden. Positivbeispiele aus seiner eigenen Schullaufbahn hätten ihm früh die Bedeutung gelebter Inklusion vermittelt – etwa im integrativen Schulmodell der Handelsakademie Ungargasse.
Vilimsky verweist auf den seit langem auf nationaler Ebene von der FPÖ geforderten Inklusionsfonds in Höhe von 500 Millionen Euro pro Jahr. Gleichzeitig warnt er vor einer „Überregulierung aus Brüssel“: „Es braucht keine neuen Vorgaben, sondern eine bessere Umsetzung bestehender Regeln.“
Europäischer Behindertenausweis: Einigung mit Nuancen
Alle drei Abgeordneten begrüßen den EU-Behindertenausweis – mit unterschiedlichen Akzenten:
Regner sieht darin einen "wichtigen Schritt für mehr Inklusion in der EU", fordert aber eine Ausweitung über Freizeitangebote hinaus auf Bildung, Arbeit und soziale Dienstleistungen.
Vilimsky lobt den Ausweis als "gutes Instrument", mahnt aber: "Die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips ist unerlässlich."
Mandl betont vor allem die praktische Umsetzbarkeit und Sichtbarkeit des Ausweises. Er sieht darin eine Maßnahme, die europaweit Wirkung entfalten kann, wenn sie konsequent umgesetzt wird. Positive Beispiele wie barrierefreie Museen in Österreich müssten europaweit Schule machen
Gewaltschutz, Demokratie, Gleichstellung: weitere Themen im Fokus
Regner kritisiert die Mängel im Zugang zum Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen: „Das Wahlrecht muss für alle Menschen in Europa uneingeschränkt gelten.“ Zudem fordert sie ein Umdenken im Umgang mit familiären Betreuungsleistungen: Angehörige müssten politisch stärker unterstützt werden.
Vilimsky sieht in der hohen Gewalterfahrung von Menschen mit Behinderungen ein alarmierendes Problem, insbesondere, da in Institutionen wie Heimen die Statistik besonders ausschlägt. Er lehnt EU-Richtlinien zum Gewaltschutz ab, spricht sich aber für die Förderung von persönlicher Assistenz und Stärkung unabhängiger Kontrolle durch Einrichtungen wie die Volksanwaltschaft aus.
Mandl unterstreicht, dass soziale Gerechtigkeit Grundlage des Zusammenlebens ist. Maßnahmen zum Gewaltschutz und zur rechtlichen Gleichstellung müssten auch in schwierigen Haushaltslagen als vorrangige Ziele behandelt werden. Respekt und Wertschätzung gegenüber Menschen mit Behinderungen seien auch ein Bollwerk gegen politische Brutalisierung, denn er verortet die Rückkehr dunkler Zustände in der Geschichte, nämlich das Recht des Stärkeren, dem entgegengetreten werden müsse.
Gemeinsame Plattform, unterschiedliche Konzepte
Die Interviews zeigen: Während alle drei Abgeordneten ein Bekenntnis zur Inklusion ablegen, unterscheiden sich ihre politischen Strategien deutlich. Regner setzt auf verbindliche Regeln und umfassende Gleichstellung. Mandl plädiert für mutige politische Priorisierung und will Betroffene systematisch einbinden. Vilimsky betont nationale Zuständigkeiten und sieht die Rolle der EU primär in unterstützender Funktion.
Die Disability Intergroup bietet Raum für all diese Stimmen. Ob daraus eine gemeinsame europäische Linie entsteht, bleibt offen.
Aus für Antidiskriminierungsrichtlinie
Die EU-Kommission hat angekündigt, den Entwurf für eine horizontale Antidiskriminierungsrichtlinie nicht weiter zu verfolgen. Im Moment läuft eine 6-monatige Frist. Sobald diese verstrichen ist, ist die Richtline endgültig vom Tisch. Der Vorschlag, der seit 2008 zur Diskussion steht, sollte Gleichbehandlung über den Bereich Beschäftigung hinaus gewährleisten – unter anderem beim Zugang zu Bildung, Wohnraum, Sozialschutz sowie zu Gütern und Dienstleistungen. Besonders für Menschen mit Behinderungen wäre die Richtlinie ein wichtiger Schritt gewesen, um bestehende Diskriminierungen in verschiedenen Lebensbereichen rechtlich zu bekämpfen. Trotz mehrfacher Forderungen von Verbänden und dem Europäischen Parlament blieb der Entwurf aufgrund der Blockadehaltung einzelner Mitgliedstaaten im Rat der EU ohne Fortschritt. Die Kommission zieht nun die politische Konsequenz und beendet das Vorhaben. Behindertenverbände und Gleichstellungsorganisationen üben scharfe Kritik. Sie sehen im Rückzug ein Versäumnis, europäische Grundwerte wie Inklusion und Gleichheit glaubwürdig zu vertreten. Die Entscheidung schwächt den rechtlichen Schutz vor Diskriminierung und sendet ein fatales Signal an Millionen Betroffene in der EU.
Studie: Unsichtbare Behinderungen am Arbeitsmarkt
Eine neue Analyse des STEM-Instituts zeigt, mit welchen Vorurteilen Menschen mit unsichtbaren Behinderungen – etwa Autismus, psychischen Erkrankungen oder Lernschwierigkeiten – beim Zugang zum Arbeitsmarkt konfrontiert sind. Viele erleben, dass ihre Diagnose infrage gestellt wird, weil man ihnen die Beeinträchtigung „nicht ansieht“. Aus Angst vor Diskriminierung verschweigen manche ihre Behinderung – was oft zu belastenden Situationen führt. Andere versuchen, früh offen damit umzugehen, stoßen aber auf ablehnende Reaktionen.
Die Untersuchung, durchgeführt in Österreich, der Slowakei und Tschechien, hebt hervor: Bewerber:innen mit Behinderung erhalten selten Rückmeldung, warum sie für eine Stelle abgelehnt wurden. Die Frustration über mangelnde Kommunikation mit Arbeitgeber:innen ist groß – ein Phänomen, das auch viele Menschen mit sozialen Benachteiligungen betrifft.
Die Analyse zeigt auch: Je mehr Unterstützung durch den Staat – etwa Steuererleichterungen – Unternehmen erhalten, desto eher erwarten Bewerber:innen eine tatsächliche Anpassung an ihre Bedürfnisse. Während Österreich in dieser Hinsicht weiter ist, hinken Tschechien und die Slowakei hinterher, vor allem bei der Umsetzung von ESG-Vorgaben – den Nachhaltigkeitskriterien Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung).
Viele Arbeitgeber:innen haben keine klare Vorstellung davon, welche Tätigkeiten Menschen mit Behinderungen ausführen können. Zudem überschätzen Arbeitgeber:innen die finanziellen und organisatorischen Aufwände zur Adaptierung eines Arbeitsplatzes für Mitarbeiter:innen mit Behinderungen oft. Tatsächlich sind meist nur minimale Investitionen erforderlich. Die Studie empfiehlt, Betroffene als Selbstvertreter:innen aktiv in Unternehmen einzubinden – für mehr Dialog, Bewusstsein und gegenseitiges Verständnis.
Die Analyse wurde vom tschechischen STEM-Institut für empirische Forschung rund um „science“ (Naturwissenschaft), „technology“ (Technologie), „engineering“ (Informatik) und „mathematics“ (Mathematik) – im Deutschen auch als „MINT“ bekannt – gemeinsam mit atempo aus Österreich, einer Organisation, die sich mit der Umsetzung von Nachhaltigkeits-Zielen befasst – im Rahmen des Erasmus+-Projekts „Selbstvertreter:innen mit Behinderungen fördern Beschäftigung“ durchgeführt.
Digitale Zukunft gestalten
In der dreiteiligen Serie der letzten BVP-Infotage war ein Programmpunkt die neue EU-Kampagne 2023-25 „Sicher und gesund arbeiten in Zeiten der Digitalisierung“. Mag.ª Häckel-Bucher, BM für Arbeit und Wirtschaft, berichtete eindrucksvoll, wie schnell und unaufhaltsam die digitale Entwicklung unsere künftige Arbeitswelt verändern wird. Zweifelsohne wird die Künstliche Intelligenz (im Folgenden kurz „KI“) künftig auch Personalentscheidungen treffen – dies nach einem sachlich objektiven Schema.
Zukunftsforscher sind sich jedoch einig: „Wir brauchen keine Angst davor zu haben, dass die KI an uns vorbei handelt, denn wir sind es, die diese Lernsysteme entwickeln. Wir sollten daher die KI genauso verwenden wie alle anderen Werkzeuge.“ „Auch hier gibt es Gesetze. Am Ende haben wir es mit Software zu tun.“
Digitalisierung tendiert grundsätzlich dazu, bestehende Machtverhältnisse zu festigen, da Daten häufig auf den Präferenzen der Mehrheit basieren (und historische Muster widerspiegeln), die von dominanten Gruppen geprägt sind. Es ist deshalb entscheidend, eine mögliche Diskriminierung in Datensätzen aufzudecken und den Fokus auf die Menschzentriertheit zu legen.
„Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Mensch und Maschine braucht es nicht nur technische Fähigkeiten, sondern auch gesellschaftliche Akzeptanz und gesunden Menschenverstand.“
Mehr Empathie und Teilhabe in einer digitalisierten Welt bedeutet, dass zur Erhebung der richtigen Daten zunächst die Bedürfnisse diverser Gruppen zusammengeführt werden müssen – was oft einen Verhandlungsprozess erforderlich macht (beispielsweise die sich zum Teil widersprechenden Anforderungen von sehbehinderten Menschen, Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrern an die Barrierefreiheit).
Das Ziel der Diversität ist die Anerkennung und Berücksichtigung vielfältiger Bedürfnisse. Barrierefreiheit wird beispielsweise oft nur mit körperlicher Behinderung in Verbindung gebracht, umfasst jedoch weit mehr. Denn auch Eltern mit Kinderwagen sowie Menschen, die schwere Lasten tragen, oder ältere Menschen profitieren von barrierefreien Zugängen. Diversität bietet neben gesellschaftlichem Mehrwert auch wirtschaftliche Chancen und wird, zusammen mit Partizipation und Reflexion, als einer der Schlüsselfaktoren der Digitalisierung betrachtet.
Der verantwortungsvolle Einsatz von KI-Systemen erfordert eine mehrdimensionale Prüfung:
- Technische Robustheit: Wie valide und zuverlässig ist das KI-System?
- Rechtliche Einordnung: Entspricht es den gesetzlichen Vorgaben, wie dem EU AI Act?
- Ethische Bewertung: Wird es den menschenrechtlichen Prinzipien gerecht, wie z. B. Schadensvermeidung, Privatsphäre, Transparenz und Fairness?
Eine Beschäftigung mit dem Thema zeigt jedenfalls, dass Horrorfantasien wie der Terminator manchen Menschen Angst machen und sie verunsichern, weshalb wir der KI teilweise misstrauisch gegenüberstehen. Ein Beispiel dafür ist das autonome Fahren und das damit verbundene ethische Dilemma in Gefahrensituationen. Dabei wird es selbst mit der „dümmsten“ KI weniger Verkehrstote geben als mit betrunkenen Autofahrerinnen und Autofahrern.
Quelle: Alexander Thamm und Nathalie Klauser im Zukunftsreport des Zukunftsinstituts ©Zukunftsinstitut GmbH (2024)

Politik reagiert: Bericht zur Gesundheitslage von Menschen mit Behinderungen kommt
Am 26. März 2025 hat der Nationalrat einstimmig die Erstellung eines neuen Gesundheitsberichts für Menschen mit Behinderungen beschlossen. Mit diesem Schritt rückt ein bisher vernachlässigter Bereich der öffentlichen Gesundheitsversorgung in den Fokus. Die Initiative geht auf einen Entschließungsantrag der Grünen zurück und fand breite Zustimmung bei allen Parteien.
Laut Statistik Austria leben in Österreich rund 1,4 Millionen Menschen mit dauerhaften Beeinträchtigungen. Für viele ist der Zugang zu medizinischen Leistungen jedoch weiterhin erschwert: Arztpraxen sind oft nicht barrierefrei, Kommunikation gelingt nicht in Leichter Sprache, und Personen mit intellektuellen Behinderungen stoßen auf strukturelle Hindernisse. Der Alltag dieser Menschen ist geprägt von Mehrfachbelastungen – nicht nur gesundheitlich, sondern auch sozial und ökonomisch.
Die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) wurde nun damit beauftragt, die bestehenden Versorgungsbedingungen systematisch zu analysieren. Dabei sollen auch Menschen mit Behinderungen aktiv einbezogen werden – als Expert:innen in eigener Sache.
Im Parlament äußerten sich alle Fraktionen engagiert. Die ÖVP betonte die Bedeutung schneller Schritte auf Basis der Analyseergebnisse. Die SPÖ sprach von einem gesundheitspolitischen Kassasturz, der überfällig sei. Die NEOS legten den Fokus auf transparente Daten als Grundlage für wirksame Verbesserungen. Die FPÖ erachtet das bestehende Versorgungssystem als lückenhaft und brachte die Idee eines Inklusionsfonds ein, der jedoch keine Mehrheit erhielt.
Die Grüne Sozialsprecherin Sigrid Maurer wies darauf hin, dass das Gesundheitssystem in vielen Bereichen an den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen vorbeigehe. Gerade deshalb sei dieser Bericht mehr als eine bloße Dokumentation – er solle Veränderungen anstoßen.
Der einstimmige Beschluss für einen Bericht zur gesundheitlichen Situation von Menschen mit Behinderungen gibt Anlass zur Gewissheit, dass das Problem in der Politik wahrgenommen und bald angegangen wird.

Österreichische Patient:innen mit seltenen Erkrankungen müssen 2,5 Jahre länger auf Diagnose warten
Eine neue österreichische Gesamtstrategie soll die Situation verbessern
Von seltenen Erkrankungen und allen damit einhergehenden Schwierigkeiten im Alltag sind in Österreich rund 450.000 Menschen betroffen, wenn auch jede einzelne Krankheit für sich genommen nur wenige Personen betrifft. Aufgrund des meist sehr spezifischen Krankheitsbildes ist der Weg von den ersten Symptomen bis hin zur korrekten bestätigten Diagnose oftmals kompliziert und belastend. Die aktuellen Ergebnisse der europaweiten Rare Barometer-Umfrage durchgeführt von Eurordis, der European Organisation for Rare Diseases, legen dar, dass Menschen mit seltenen Erkrankungen hierzulande mit einer durchschnittlichen Diagnosezeit von 7,3 Jahren im Vergleich zum restlichen Europa mit 4,7 Jahren deutlich schlechter gestellt sind.
Drei Viertel der Betroffenen werden zunächst falsch diagnostiziert
Die Studie aus Mai 2024 verdeutlicht darüber hinaus die große Zahl an Fehldiagnosen. Fast drei Viertel (74 %) der 94 Befragten wurden zunächst mit einer anderen körperlichen Krankheit fehldiagnostiziert. Bei psychologischen Diagnosen sind es 60 % an Fehldiagnosen oder die Symptome der Patient:innen wurden gar nicht erst ernst genommen. Wiederum 60 % der befragten Personen wurden nicht an ein spezialisiertes Zentrum überwiesen, obwohl dies für eine korrekte Diagnose notwendig gewesen wäre. Weitere Ergebnisse zeigen überdies, dass 24 % der Betroffenen acht oder mehr Konsultationen bei medizinischem Fachpersonal hatten, bevor sie eine Diagnose in Händen hielten.
Zur Verbesserung der Situation im Sinne der Betroffenen gibt es von Pro Rare Austria konkrete Vorschläge. Im Kern steht die Forderung nach einer neuen österreichischen Gesamtstrategie. Sie soll folgende Punkte umfassen: Die Gewährleistung gesicherter Diagnosen innerhalb eines Jahres, eine Verbesserung der Gesamtversorgung (medizinisch, psychosozial, sozial) und des Zugangs zu innovativen Therapien, Stärkung des Medizinstandorts durch adäquate Finanzierung von spezialisierten Zentren und Kliniken für seltene Erkrankungen und Investitionen in die Versorgung über alle Altersgruppen hinweg, ein gesamtösterreichisches Register für seltene Erkrankungen und letztlich die gesetzliche Verankerung der Patient:innenbeteiligung sowie öffentliche Basis- und Projektfinanzierung für Selbsthilfe- und Patient:innenorganisationen und für deren Dachverbände.
Zero Project 2025
Innovation für Inklusion
Die Zero Project Conference 2025, abgehalten vom 5. bis 7. März im Wiener UNO-City, stellte heuer inklusive Beschäftigung und Informations- sowie Kommunikationstechnologie (IKT) in den Mittelpunkt. Die Konferenz brachte über 1.000 Teilnehmer:innen aus mehr als 90 Ländern zusammen, um innovative Lösungen für Menschen mit Behinderungen zu präsentieren und zu diskutieren.
Den Auftakt bildete eine Veranstaltung im österreichischen Parlament, zu der Nationalratspräsident Walter Rosenkranz geladen hatte. Ein besonderes Highlight war die Präsentation eines KI-Avatars für Menschen mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS). Erin Taylor, selbst von ALS betroffen, hielt ihre Rede mithilfe dieses Avatars, gesteuert durch Eye-Tracking-Technologie. Sie betonte, dass künstliche Intelligenz ihr die Fähigkeit zurückgegeben habe, unabhängig zu kommunizieren und emotionale Verbindungen aufzubauen.
Martin Essl, Gründer des Zero Projects, hob hervor, dass Inklusion ein zentraler Bestandteil von Innovation sein müsse. Er unterstrich die Bedeutung, Menschen mit Behinderungen aktiv in den Entwicklungsprozess neuer Technologien einzubeziehen. Nur so könnten Lösungen entstehen, die wirklich allen zugutekommen.
Ein weiterer Höhepunkt war die Keynote von Caroline Casey, Gründerin der Initiative "Valuable 500". Sie sprach über die globale Kraft der Barrierefreiheit und wie Unternehmen weltweit von inklusiven Praktiken profitieren können.
Während der Konferenz wurden 77 Projekte aus 45 Ländern mit dem Zero Project Award ausgezeichnet. Diese Projekte zeichnen sich durch innovative, wirkungsvolle und skalierbare Lösungen im Bereich Beschäftigung und IKT aus. Beispiele hierfür sind eine Plattform zur Förderung von Unternehmerinnen mit Behinderungen und eine App, die barrierefreie Wege in Städten aufzeigt.
Besonders bemerkenswert war die Vorstellung von fünf ausgewählten Initiativen durch Abgeordnete aller im Parlament vertretenen Parteien. Diese übernahmen die Patenschaft für Projekte wie "Chance B" und "Diakonie de la Tour" und verpflichteten sich, deren Umsetzung in Österreich zu unterstützen.
Die Zero Project Conference 2025 zeigte eindrucksvoll, wie durch Zusammenarbeit und Engagement innovative Lösungen für eine inklusive Gesellschaft geschaffen werden können. Sie unterstrich die Bedeutung, Barrierefreiheit und Inklusion als zentrale Elemente in der Entwicklung neuer Technologien und Beschäftigungsmodelle zu verankern.
Neuer ORF-Aktionsplan zum Ausbau der Barrierefreiheit
Ziel von 100 Prozent Untertitelung rückt näher; zwei Drittel aller Sendungen bereits untertitelt
Fast 28.000 Stunden barrierefreies Programm hat der ORF 2024 angeboten – so viel wie noch nie zuvor. Das beinhaltet die Services Untertitelung, Übersetzung in Österreichische Gebärdensprache (ÖGS), Audiodeskription und Nachrichten in Einfacher Sprache. Der neue ORF-Aktionsplan zum Ausbau der Barrierefreiheit zeigt nicht nur, was im Vorjahr erfolgreich umgesetzt wurde, sondern auch, was der ORF bis 2027 mit seinen barrierefreien Services vorhat, um seine Programme so barrierefrei wie möglich zu gestalten. Das bis 2030 angestrebte Ziel einer 100-Prozent-Quote im Bereich der Untertitelung ist in realistischer Nähe.
Aktionsplan bis 2027: Angebote werden weiter ausgebaut
Der Aktionsplan wird unter Anhörung relevanter Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen Organisationen von Menschen mit Behinderungen erstellt. Der vorliegende Aktionsplan zeigt, dass 2024 die gesetzlichen Vorgaben im Bereich der Untertitelung neuerlich deutlich übertroffen werden konnten. Außerdem wurde mit Jahresbeginn 2024 eine jahrzehntelange Forderung nach Untertitelung der reichweitenstarken „Bundesland heute“-Sendungen erfüllt. Sie stehen vorerst kurz nach den Sendungen online zur Verfügung. Auch bei anderen Angeboten, die hör- und sehbehinderten Menschen und Menschen mit einer Lernbehinderung den Zugang zu den ORF-Programmen erleichtern bzw. überhaupt ermöglichen, wurden alle Vorgaben erreicht bzw. übertroffen.
„Bundesland heute“ live mit Untertiteln im Fernsehen
Ende des vergangenen Jahres wurde die letzte größere Lücke bei der Untertitelung von ORF 2 geschlossen. Seither werden „Guten Morgen Österreich“ ab 6.30 Uhr und die Frühausgaben der „Zeit-im-Bild“ barrierefrei angeboten. Auch der Ausbau von Audiodeskription, also der akustischen Bildbeschreibung für Menschen mit einer Sehbehinderung, wird vor allem bei Filmen und Serien forciert. Eine zusätzliche Sendung im Hauptabend soll mit Gebärdensprache angeboten werden.
Ausbau der barrierefreien Services im Jahr 2024
Fast 28.000 Stunden an barrierefreiem Angebot wurden im vergangenen Jahr bereitgestellt. Auch das Angebot in Einfacher Sprache wurde im ORF ausgebaut, zuletzt mit einer Artikelrubrik auf ORF Topos und einem neuen FM4-Podcast in Einfacher Sprache. Nachrichten in Einfacher Sprache sind schon seit 2017 Teil des ORF-Programms u. a. im Teletext, mit sechs täglichen Meldungen auf der Startseite von news.ORF.at, Fernsehnachrichten in Einfacher Sprache von Montag bis Freitag um 19.25 Uhr in ORF III und einem breiten Angebot in den ORF-Radios.
Schwerpunkte mit Übersetzung in ÖGS gab es auch zu den verschiedenen Wahlen im vergangenen Jahr. Neu waren die Interviews der Spitzenpolitiker:innen in Einfacher Sprache für ORF III und news.ORF.at.
Neben zahlreichen Programmschwerpunkten setzte der ORF wichtige Initiativen zur Förderung einer inklusiven Gesellschaft. So wurden bei dem inklusiven Casting „Mach dich sichtbar“ zehn Menschen mit Behinderung ausgewählt, die eine Chance bekommen, in Werbung und TV-Produktionen aufzutreten.